Geht das denn überhaupt?
Jeder hat sie. Jeder braucht sie. Kaum einer kennt sie. Die Rede ist von Werten. Trostlos hängen sie an den Wänden deutscher Kantinen, zieren Papierfluten von Flyern und verschlingen nicht zuletzt Unsummen. Unsummen an Weiterbildungsgeldern, Unsummen an Zeit aber auch Unsummen an Mitarbeitermotivation. So werden Berater eingekauft um Leitbilder zu erstellen, noch mehr Berater eingekauft um Werte zum Leben zu erwecken und daraufhin Qualifizierungsmaßnahmen aufgesetzt um die Werte unters Mitarbeitervolk zu bringen.
Kaum ein Unternehmen kennt sie nicht, die Notwendigkeit ein Leitbild zu erstellen. Werte zu kommunizieren. Werte vorzuleben. Das hat auch jüngst wieder eine Studie bestätigt. „Digging for Diamonds“ eine Gemeinschaftsstudie der ATOSS Software AG und DEKRA Akademie hat sich mit dem Thema „Verborgene Potenziale im Unternehmen heben“ beschäftigt (Quelle siehe unten). Befragt wurden rund 320 HR-Manager in Deutschland und Österreich. „Vorleben von Unternehmenswerten“ haben 81% der Befragten mit „eher wichtig“ bewertet und damit den Platz 2 in der Kategorie „Werkzeuge im Bereich Mitarbeiter“ errungen. Nur „Qualifizierungsprogramme für Führungskräfte/Coachings“ werden als noch wichtiger angesehen. Das Ergebnis kann ich aus meiner Perspektive so unterschreiben.
Doch bleibe ich wie so oft an dieser Formulierung hängen: Werte vorleben. Geht das denn überhaupt? In meinen Beratungsprojekten, wenn es darum geht Leitbilder aufzustellen, zu formulieren, zu überprüfen oder in bestehende Qualifizierungsmaßnahmen sowie Rekruitingprozesse zu integrieren stoßen Auftraggeber und ich im Erstgespräch nicht selten auf die Frage: „Werte vorleben, geht das denn?“ Und meine Antwort lautet ganz klar: „Ja, das geht. Doch braucht es eine ganz wesentliche Voraussetzung, um welche sich selten jemand kümmert, welcher kaum jemand Beachtung schenkt und die doch so notwendig ist.“ Um Werte vorleben zu können, muss ein Mitarbeiter diesen Wert erst einmal selbst haben. Der Mitarbeiter muss diesen Wert selbst im Herzen verankert haben. Der Wert muss für ihn selbst als wichtig erachtet werden.
An diesem Punkt des Gesprächs müssen wir nicht selten an der Frage vorbei: „Was sind denn dann Werte überhaupt?“ Meine recht einfache Antwort: „Ein Wert ist all das, was Ihnen wichtig ist.“ Das kann ein Auto sein, ein Hobby, Ihre Familie, Geld, ökologische Nachhaltigkeit oder aber Gerechtigkeit, Freiheit und Glück. All das sind Dinge, die jeder ganz persönlich im Laufe des Lebens als wertvoll erlebt und/oder erlernt hat. All das sind Dinge, die das eigene Leben erst sinnvoll machen. Umso verwunderlicher jedoch: Kaum einer kennt die eigenen Werte. Wissen Sie was Ihnen wirklich wichtig ist?
Doch um auf unsere Frage zurückzukommen, wie können Werte vorgelebt werden, müssen Unternehmen sich mit folgenden Fragestellungen auseinandersetzen: Was sind die Werte meiner Mitarbeiter? Bestätigen sich diese in den Werten des Unternehmens? Finden sich die Werte der Mitarbeiter in den Werten des Unternehmens? Angenommen Sie haben den Unternehmenswert „Fairness“ identifiziert. So wäre es recht einfach „Fairness“ vorzuleben indem jeder eben durchgängig fair handelt. Doch es ist auch leicht nachzuvollziehen, dass es demjenigen leichter fällt Fairness vorzuleben, welcher in seinem Innersten den Wert Fairness auch verankert hat. Wohl jemand, der im Leben bisher nur durch Tricks und Kniffe und vielleicht sogar Ungerechtigkeiten zum Ziel kam, jener wird sich schwer tun Fairness als wichtig zu erachten. Und ich möchte gar nicht anzweifeln jener könne nicht fair agieren. Doch behaupte ich, fällt es ihm viel schwerer, wenn der Wert kein eigener ist. Das verhielte sich so als müsste ein Rechtshänder plötzlich mit der linken Hand schreiben: Er würde es zwar irgendwie hinbekommen, doch wäre es sehr viel anstrengender für ihn und das Ergebnis ein sehr viel schlechteres als das der rechten Hand.
Wenn es ums Thema Werte vorleben geht, muss man erst einmal einen Schritt zurückgehen und die Frage ergänzend formulieren: wie können Werte authentisch vorgelebt werden? Und die Antwort ist so einfach wie schwierig: indem ein Unternehmen die richtigen Mitarbeiter ausgewählt hat, die diesen Wert auch tief in ihrem Herzen tragen. Die Mitarbeiter die Werte mit ihrem Arbeitgeber teilen und sich in den Werten des Unternehmens gespiegelt sehen. Die Mitarbeiter, die ohne Anstrengung ihre eigenen Werte im Arbeitsumfeld leben dürfen. Dann geschieht das Vorleben von ganz allein. Die Mitarbeiter, die Werte mit dem Unternehmen teilen, müssen nicht darüber nachdenken. Sie tun es einfach. Sie müssen nicht Fairness vorleben, sie sind einfach fair. Und das kostet weder Beratertage, Qualifizierungsprogramme, Roadshows und Lebenszeit. Es passiert einfach so.