Ich werde hin und wieder gefragt: Welche Unternehmen sind denn besonders gefährdet in die negative Sinn-Spirale zu rutschen, damit kontinuierlich weniger Sinn zu stiften und irgendwann unterzugehen? Darauf gibt es – Sie vermuten richtig – keine Pauschal-Antwort. Sicher gibt es Branchen, in welchen es schwieriger ist, Mitarbeiter mit den gleichen Werten zu akquirieren und zu halten. Vor allem Mitarbeiter zu finden, die zu den Werten des Unternehmens passen. Und sicher gibt es auch Regionen in Deutschland, wo sich sinnstiftendes Arbeiten herausfordernd gestaltet. Keine Frage. Aber all das sind Hypothesen, die man nur in Einzelfällen bestätigen kann.

Was jedoch augenscheinlich eine Variable ist, von welcher die – nennen wir es – Intensität der Sinn-Spirale abhängig ist, ist die Unternehmensgröße. Mit Unternehmensgröße meine ich die Anzahl der Mitarbeiter. Je mehr Mitarbeiter ein Unternehmen beschäftigt, desto herausfordernder wird es für alle Mitarbeiter gleichermaßen Sinn im Tun und Sein zu stiften. Desto schwieriger wird es Wertschnittmengen zu schaffen.

Dies hat zum einen mit der unüberschaubaren Anzahl von individuellen Wertesystemen zu tun: Jeder Mitarbeiter hat ein für sich individuelles Wertesystem. Eine Kombination an unterschiedlichen Werten, die – so im Idealfall – eine möglichst große Schnittmenge mit den Werten des Unternehmens aufweisen. Je mehr Mitarbeiter ein Arbeitgeber beschäftigt, desto mehr Werte wabern im System, stehen damit nebeneinander im Unternehmen. Die Schnittmengen zwischen Unternehmenswerten und individuellen Werten der Mitarbeiter gestalten sich schwieriger. Es ist einfacher als Geschäftsführer ein Augenmerk auf die Werte und die Passung zwischen Unternehmen und Mitarbeitern bei 10 Personen als bei 10.000 Personen zu haben. Der Kontakt ist stärker, das Matching zwischen Mitarbeiter- und Unternehmenswerten ist damit unkomplizierter. Und sollten sich Werte ändern, sei es auf Unternehmens- als auch auf Mitarbeiterseite, kann schneller reagiert werden, um zu klären: Passen unsere Werte noch zueinander? Haben wir noch gemeinsame Schnittmengen? Wenn ja, was wären die konkreten strategischen nächsten Schritte? Wenn nein, macht eine weitere Zusammenarbeit auf beiden Seiten Sinn?

In Unternehmen mit einer unüberschaubaren Anzahl von Mitarbeitern gestaltet es sich schwierig, alle Werte samt der Mitarbeiter unter einen Hut zu bringen. Die Söldner-Mentalität ist hier sehr viel stärker ausgeprägt. Mitarbeiter arbeiten dann nur noch um des Geldes willen, um die eigenen Werte, dann in der Freizeit zu bestätigen. So wie eine fast 60-jährige Sachbearbeiterin der Buchhaltung, welche nach 30 Jahren Betriebszugehörigkeit froh ist um jeden Tag, der vorbei ist. Abends traf ich sie manchmal in der Kaffeeküche, wo sie ihren Becher in die Spülmaschine stellte. Verbunden mit den Worten: „Gott sei Dank ist wieder ein Tag vorbei.“ Was für ein schrecklicher Gedanke! Froh sein, dass ein Tag vorbei ist?! Wieder ein Schritt mehr auf das Lebensende zu?? Dafür soll man dankbar sein? Dabei könnte man in nur einem Gespräch sehr schnell herausfinden, dass sie ihre komplette Freizeit damit verbringt, ehrenamtlich im Pflegeheim auszuhelfen. Das macht für sie Sinn? Da frage ich, gerade beim derzeitigen Mangel an Pflegepersonal und einer immer älter werdenden Gesellschaft: wieso arbeitet sie nicht einfach hauptberuflich im Pflegeheim, macht, das was ihre Werte bestätigt und für sie sinnvoll ist? Und verdient auch noch Geld dabei. Vor allem muss sie nicht dankbar sein, dass ein Tag vorbei ist, mich nicht mit derart frustrierenden Aussagen in einen Sog des Negativ-Denkens ziehen. Nein, sie sollte viel eher traurig sein, dass wieder ein so schöner Tag vorbei ist und jeden Morgen mit einem Lächeln aus dem Bett steigen.

Ja, je größer das Unternehmen ist, desto mehr dieser Söldner werden Sie in diesem antreffen. Weil eben die Werte oft nicht erkannt und damit nicht bestätigt werden können. Und dabei könnte man mit nur einem Gespräch oftmals klären, wo die Werte des Mitarbeiters liegen und was für ihn sinnstiftend ist. Oder aber diese Mitarbeiter wurden vor langer Zeit enttäuscht, das Vertrauen ist gegangen und Sinnverschiebungen ins Private haben längst stattgefunden. Eben wenn die Liebe längst gegangen ist, wie bei einem älteren Ehepaar, das sich so gar nichts mehr zu sagen hat.